Sudetendeutsche Landsmannschaft SL-Bad Homburg v.d. Höhe

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Demokratie

Bearbeitung: 12.4.2008:

Die Legende von der tschechoslowakischen Musterdemokratie


(von Friedebert Volk)

In vielen Geschichtsbüchern wird die CSR der Zwischenkriegszeit als „Insel der Demokratie“ gerühmt. Die Errichtung des Protektorats 1939 hätte dieses „Paradies“ zerstört. Die folgende Aufzählung kann aber zeigen, daß dieses Bild eher einer Mischung von  Mythos und Wunschtraum entspricht.


Nationalversammlung, revolutionäre: Sie konstituierte sich 1918 ohne Wahlen und bestand nur  aus Tschechen und wenigen Slowaken. Die Sudetendeutschen waren von der Mitarbeit an der neuen Staatsverfassung und den etwa 300, für sie oft nachteiligen ersten Gesetzen des neuen Staates ausgeschlossen. Sie wurden behandelt als gehörten sie nicht zum Demos, was auch der erste Satz der Verfassung andeutete: Wir, die tschechoslowakische Nation.... .  Wirkliche Demokraten treten jedoch für die ungeschmälerten Rechte aller Bevölkerungsteile ein. Im übrigen führte die CSR unter allen Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns als letzte allgemeine Wahlen durch.


Wahlkreisgeometrie: Der Zuschnitt der Wahlkreise ging in der Regel zu Lasten der Sudetendeutschen. Sie benötigten für ein Mandat im Durchschnitt knapp 20 Prozent mehr Stimmen als die Tschechen (47.716 gegen 39.957). Noch schlechter gestellt waren die Magyaren, bei denen erst auf 109.847 Wähler ein Parlamentssitz entfiel (PLEYER, S.155). Besonders begünstigt war in Prag der Wahlkreis A, der nur von 22.100 Wählern bewohnt war. Praktische Folgen hatte das bei der Wahl vom 19. Mai 1935, als die SdP Henleins 73.000 Stimmen mehr auf sich vereinigen konnte als die stimmstärkste tschechoslowakische Partei (Agrarier) und dennoch einen Sitz weniger als diese zugesprochen erhielt. Völlig unabhängig vom Wahlergebnis waren für die Legionäre in der ersten Legislaturperiode vier Parlamentssitze reserviert, was der weiteren Absicherung tschechischer Interessen diente.


Soldatenwahlrecht: Soldaten hatten in ihren jeweiligen Garnisonsorten volles Wahlrecht. Durch vorübergehende Verlegung tschechischer Regimenter (Wahlbattaillone) in Orte mit knapper deutscher Mehrheit konnte diese zu Fall gebracht werden (HASSINGER, S. 169 ff.). Erst nach zähen Verhandlungen gelang es den deutschen Parteien in der zweiten Wahlperiode, diesen Mißstand abzustellen (LUKASCH, S.244).


Wahlperiode: Die Verfassung der CSR gestattet dem Wahlvolk einen Urnengang nur alle sechs Jahre.

Revers-Demokratie: Die tschechischen Abgeordneten mußten bei Annahme ihres Mandats für den Fall der Unbotmäßigkeit eine Blanko-Rücktrittserklärung unterschreiben (SANDER 1935, mit Text des Revers, S. 110; LIPSCHER, S. 113; MENZEL, S. 64;). Abhilfe schuf auch das Wahlprüfungsgericht nicht, denn dessen Besetzung gehörte wohlweislich auch zu den Befugnissen des Parlaments (Gesetz vom 29.2.1920, SANDER 1935, S. 97 ff.).


Petka: Die eigentlichen politischen Entscheidungen fielen in einem Petka genannten Koalitionsausschuß, der in der Verfassung nicht vorgesehen war, aber dank der o.g. “Reversdemokratie” verbindliche Beschlüsse fassen konnte.


Ermächtigungsgesetz: Das (verfassungswidrige) Ermächtigungsgesetz vom 9.6.1933 wurde mehrmals, zuletzt im Jahre 1936, verlängert und führte zu einer Art  Präsidialdiktatur.


Parteienauflösungsgesetz: Das Parteienauflösungsgesetz vom 25.10.1933 wurde mehrmals, zuletzt 1936, verlängert und schloß den ordentlichen Rechtsweg aus. Damit ordnete sich die CSR in die Reihe der autoritären Staaten ein (SANDER 1936, S. 188).


Staatsverteidigungsgesetz: Das Staatsverteidigungsgesetz vom 13. Mai 1936 betraf 55 grenznahe Bezirke und damit 86% der Sudetendeutschen. Diese konnten auf dem Verwaltungswege und unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges als staatlich unzuverlässig eingestuft und von gewissen Rechten ausgeschlossen werden, was u. a. ein Verstoß gegen die von der Verfassung geforderte Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des Staatsgebietes war (SANDER 1936, S. 102 f.). Auf dieses und andere Gesetze reagierte die politische Polemik mit der Wortschöpfung Kabinettsjustiz. Bezeichnend für die Stellung der CSR-Justiz war, daß die Richterstellen des Verfassungsgerichts seit 1931 vakant waren (SANDER 1936, S. 176).


Selbstverwaltung: Auf Gemeindeebene wurde die Selbstverwaltung systematisch beschnitten. Genannt seien nur die Verstaatlichung der Gemeindepolizei und des Schulwesens sowie die Kontrolle über die Gemeindebibliotheken, wobei den Gemeinden aber jeweils die Kosten blieben. In den Finanzkommissionen der Gemeinden wurde die Hälfte der Mitglieder, auf Bezirks- und Landesebene ein Drittel der „normalen“ Abgeordneten nicht gewählt, sondern willkürlich „von oben“ ernannt. Demokratisch gewählte Bürgermeister mußten erst von der Regierung autorisiert werden. Der Staat konnte Gemeinde- oder Bezirksgrenzen neu bestimmen, wodurch es bis 1929 möglich war, alle 14 zunächst deutschen Bezirke in größere, gemischtnationale Verwaltungseinheiten mit tschechischer Mehrheit zu überführen. Diese Maßnahme sollte nicht nur deutschen Einfluß zurückdrängen, sondern nachträglich auch das im Memoire III gezeichnete Bild vom zerrissenen Lebensraum der Sudetendeutschen bestätigen (HASSINGER, S. 176 f. und FRANZEL, S. 78 f.).


Meinungsfreiheit: Zahlreiche Bücher, besonders solche „aus dem Reich“, aber auch der „Schwejk-Roman“ von Jaroslav Hasek waren verboten. Sudetendeutsche Zeitungen unterlagen einer umfassenden Zensur, der viele Artikel zum Opfer fielen. Ausgefallene Artikel wurden nicht ersetzt, so daß die Zahl der weißen Stellen im Erscheinungsbild der Zeitung ein Maß für ihre oppositionelle Gesinnung war. Zensur galt nicht für Reden im Parlament. Damit dort aber die Zensur durch Verlesen verbotener Artikel nicht unterlaufen werden konnte, war freie Rede für alle Abgeordneten Pflicht. Meinungsbeeinflussung geschah durch erhebliche Zahlungen an in- und ausländische Jounalisten und Zeitungen (URBAN, Demokratenpresse). Hunter Millers deckte 1935 auf, daß das von Benesch 1919 vor der “Kommission für die Neustaaten” gegebene Versprechen, eine “zweite Schweiz” zu errichten, immer noch der Zensur unterlag (“Diary”, Band XIII; sh. auch PRINZ, S, 96 f.). Empfang von Radiosendungen aus Deutschland war während des Ausnahmezustandes 1938 verboten.


Kritische Stimmen: Das Zentralorgan der tschechischen Sozialdemokraten PRAVO LIDU bezeichnete am 23.12.1919 das tschechische Parlament als Diktatur der tschechischen Parteien (PRERADOVICH, S. 66). ADDISON schrieb bereits 1934 vom tschechischen Polizeistaat (Franke, S. 217). MASARYK scheint nicht ahnungslos gewesen zu sein, als er sagte: Die Demokratie hätten wir, jetzt brauchen wir noch Demokraten (Masaryk, S. 13). Stefan OSUSKY (tschechoslowakischer Botschafter in Paris, + 1973 in Washington) stellte fest, daß Benesch schon vor 1938 elementare Regeln der Demokratie mißachtet habe. Emil FRANZEL (S. 80) hält die CSR für eine Formaldemokratie hinter der sich die nationale Diktatur der Tschechen verbarg. F. SANDER (1936, S. 193) reiht die CSR nach Verabschiedung des Staatsverteidigungsgesetzes in die Gruppe der autoritären Staaten ein. Sir Thomas MOORE sagte 1938 im britischen Unterhaus: Wie ich die Demokratie verstehe und sie Abraham Lincoln verstand, ist sie eine Regierung der Mehrheit eines Volkes im Interesse des ganzen Volkes. Wenn das richtig ist, dann herrschte die Demokratie nicht in der Tschechoslowakei. J. KALVODA (S. 196) berichtet, daß sich Benesch nach Ansicht vieler Zeitzeugen auch im Exil wie ein selbsternannter Diktator verhielt. Die Mitglieder seiner provisorischen Regierung ließ er nicht von den Parteien auswählen, sondern bestimmte sie selbst. 1941 ließ er beschließen, daß ein Mißtrauensvotum gegen ihn niemals beantragt werden dürfe.


Schlußbemerkung: Palacky hielt die Tschechen „seit uralten Zeiten für demokratisch gesinnt“, Deutsche hingegen für obrigkeitshörig. Offenbar konnte er nicht sehen, daß die bloße Einhaltung demokratischer Formen noch keinen Schutz vor Ungerechtigkeiten, insbesondere in einem Vielvölkerstaat, bietet. Sein Zeitgenosse John Stuart MILL war da schon weiter, als er die Demokratie gerade für ethnisch gemischte Gebilde direkt ablehnte. Zur Lösung dieses  Dilemmas hatte Karl RENNER 1899 eine Art “ethnischen Föderalismus” vorgeschlagen, der weniger auf dem Territorialprinzip als auf dem Personalitätsprinzip beruhen sollte. Er dachte an die Schaffung von “kulturellen Nationalverbänden”, denen er neben der kulturellen auch die Steuerautonomie zusprechen wollte. Bekannt wurden seine Ideen als “MÄHRISCHER AUSGLEICH”,  der zwei nationale Wählerlisten, die sogenannten Nationalkataster, vorsah. Tschechische Nationalisten warfen den Mährern daraufhin  nationalen Verrat vor. Tatsache war jedoch, daß in Mähren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nationaler Friede herrschte.


Diese Erfahrung sollte die Welt zu ähnlichen Experimenten ermutigen, anstatt sich mit Churchills zynischem Wort zu begnügen“ Die schlechteste Regierungsform ist die Demokratie – mit Ausnahme aller anderen.“

Quellen:

FRANZEL, Emil, Die Sudetendeutschen, München 1980; HASSINGER, Hugo, Die Tschechoslowakei, 1925; JAKSCH, W., Wir heischen Gehör, 1947; KALVODA, Josef, Czechoslovakia`s Role in Soviet Strategie, Washington 1978; LIPSCHER, Ladislav, Verfassung und politische Verwaltung in der CSR 1918-1939, München 1979; MASARYK, T.G., O democracii (Über Demokratie), hrsg.von Koloman Gjan, Prag 1991; MENZEL, Wolfg., 90 Jahre Kampf um Selbstbestimmung, in: Festschrift zum 22. Sudetendt. Tag 1971 in Nürnberg; PLEYER, Wilh., Europas unbekannte Mitte, München-Stuttgert 1957; PRERADOVICH, Nic. von, Die Tschechoslowakei von 1918 bis 1992); PRINZ, Friedrich, Geschichte Böhmens; SANDER, Fritz, Verfassungsurkunde und Verfassungszustand der Tschechoslowakischen Republik, Brünn, 1935; derselbe, Das Staatsverteidigungsgesetz und die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik, Brünn, 1936

 
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